Unterwegs in Tolkien's Country

Unterwegs in Tolkien’s Country

Fünfzig Jahre Herr der Ringe sollte gebührend gefeiert werden. Aus diesem Anlass organisierte die Englische Tolkiengesellschaft für 2005 einen internationalen Tolkien-Kongress in Birmingham, zu dem Tolkien-Freunde aus aller Welt erwartet wurden. Eine Selbstverständlichkeit, dass die ÖTG dabei nicht fehlen durfte. Neun Gefährten machten sich auf den Weg …

Steine und andere Reiseeindrücke

Erst beim eigentlichen Tolkien-Kongress sind wir tatsächlich 9 Gefährten gewesen. Zuvor mussten wir noch in kleineren Gruppen veschiedene Abenteuer bestehen. Nessa, Lothíriel und meine Adlerschaft haben sich am Flughafen einen fahrbaren Untersatz besorgt, um damit schnell dem Großstadtdschungel zu entfliehen. Schon am ersten Tag bewunderten wir seltsame Gesteinsformationen: strahlend weiß, uralt und nur aus der Ferne identifizierbar als die White Horses. Und auch die nächsten Tage sollten es immer wieder Steine sein, die bei uns ein Gefühl der Ehrfurcht hervorriefen.
Wir wollten die Kraft eines magischen Ortes, der von 13 Steinen eingekreist ist, auf uns einwirken lassen. Gegen Haarausfall wirkt es nicht, soviel kann ich euch schon mal verraten.
Auf Schotterstraßen bahnten wir uns einen Weg durch die zahlreichen Wächter, verkleidet im Schafspelz, um einen Blick auf den unehelichen Sohn Arthurs zu werfen, der zusammen mit seinen Eltern in einer windumtosten Hügellandschaft ein Menhir-Dasein fristet.
Schließlich konnten wir noch eine alte Grabkammer besichtigen, deren Architektur schon sehr faszinierend war.

Stellt euch Folgendes vor: Es ist August (Hochsommer). In Österreich regnet es seit Wochen, und plötzlich bekommst du aus England (!!) ein SMS mit Bild, auf dem du deine Freundin barfuß am Meer bei strahlendem Sonnenschein siehst. Lothíriel konnte sich das nicht verkneifen. Einen ganzen Tag vertrödelten wir auf sehr angenehme Weise am rauen Meer bei Nashpoint, wo Ewigkeiten des Kampfes zwischen Wassermassen und Felsen beeindruckende Gesteinsformationen hervorgebracht haben. Übrigens: Vom dortigen Parkwächter wurden wir walisisch begrüßt. Solche Momente machen glücklich!
Wir haben aber nicht nur Steine besucht. Auch Menschen sind uns immer wieder begegnet. Und schon das erste Gespräch mit einem Einheimischen aus Cirencester (Na, wer kann´s aussprechen?) wird vor allem Julia unvergesslich bleiben. Wir betreten eine Kneipe. Ein Gast winkt uns zu sich heran (mich natürlich völlig ignorierend) und nach einem kurzen “Hello” fragt er auch schon: “Do you have a boyfriend?” Was sagt uns das über die Engländer??

In England zu nächtigen ist teuer, das ist bekannt. Hier nun ein Tipp, wie man es etwas billiger haben kann. Such dir ´ne Bleibe, wo du davon ausgehen kannst, dass irgendwann mitten in der Nacht zwei Mitbewohner stockbetrunken und streitend nach Hause kommen, sich prügeln, bis sowohl Rettung als auch Polizei erscheinen und dadurch fast die ganze Nacht Unruhe und Aufregung garantiert ist. Wir haben´s erlebt, und es hat uns 50 % Rabatt eingebracht!
Nach diesen vielen Eindrücken und Erlebnissen mussten wir eine standesgemäße Rast einlegen. Das Green Dragon kam uns da gerade recht.

Sehr viele Menschen, und bei weitem angenehmere, hatten wir dann die fünf Tage in Birmingham um uns. Darüber lasse ich aber Miriam und Julia etwas mehr erzählen. Ich setze die Tour unmittelbar nach dem Kongress fort, als wir vor unserem Aufbruch nach Oxford noch schnell Sarehole, die berühmte Sarehole Mill und den Mosley Bog aufsuchten. Dort hat Tolkien seine glücklichen Kindheitstage verbracht, und dort haben viele Motive, die der Professor in seinen Werken verarbeitet hat, ihre Wurzeln, wie etwa das finale Scouring of the Shire.

Wir waren um Authentizität bemüht. Daher: “”You´ll get lost. People don´t go in there.” – “Oh yes they do!” said Merry. “The Brandybucks go in there – occasionally when the fit takes them. We have a private entrance.””
Das war uns Auftrag genug, und wir benutzten ebenfalls einen “inoffiziellen” Eingang durch einen Maschendrahtzaun, um den Bog zu erkunden.

Der nächste Tag verschaffte uns jede Menge Eindrücke in Oxford. Das war nun eine ganz andere Welt, und wir konnten uns sehr gut vorstellen, wie Tolkien inmitten all dieser Zentren der Gelehrsamkeit aufblühte; und am Ende seines Lebens geradezu verwelkte, als er, wieder nach Oxford heimgekehrt, feststellen musste, dass auch unmittelbar vor seiner Haustür der Lärm der Neuzeit nicht Halt gemacht hatte.
Natürlich waren wir zu Gast bei The Eagle and Child und wir besuchten auch das Grab der Tolkiens. Jeder kennt die Grabsteine und ihre Inschriften, trotzdem ist es ein besonderes Gefühl, davor zu stehen und ein paar Gedanken hinab- bzw. hinaufzuschicken.
Damit sorgte auch am letzten Tag unserer Rundreise wieder ein Stein dafür, dass uns diese Reise noch lange in angenehmer Erinnerung bleiben wird.

Wolfgang “Thorondor” Penetsdorfer

Die Weisen von Mittelerde

Als wir am Donnerstag, dem 11. August, am frühen Nachmittag in Birmingham auf dem Gelände der Aston University eintrudelten, waren wir bereits äußerst gespannt, was uns nun der Kongress und die folgenden Tage bringen würden. Schon vor dem Einchecken liefen uns die ersten bekannten Gesichter über den Weg, und auch unsere ÖTG-Gefährten, die den langen Weg durch Frankreich hinter sich hatten, trafen bald ein. Das Einchecken ging schnell, allerdings lösten die spartanischen Zimmer im Studentenheim, in denen wir untergebracht waren, bei einigen Ernüchterung aus; bei mir rief es eher nostalgische Erinnerungen an das versiffte, hellhörige Heim wach, in dem ich in Belgien ein Semester lang verbracht hatte. Für den Nachmittag nahmen wir uns kein Programm mehr vor, was auch gut war, denn uns in Birmingham noch mit Nahrungsmitteln zu versorgen, dauerte länger, als wir gedacht hatten; es gab zahlreiche, an Matrix erinnernde Shopping Centres, aber scheinbar keinen normalen Supermarkt.

Schließlich saßen wir doch am Abend mit zahlreichen anderen Besuchern im Saal und warteten gespannt auf die Opening Ceremony. Diese wurde von den Organisatoren freundlich und angenehm kurz gestaltet, und nach den beiden Reden erwartete uns noch eine Überraschung: Priscilla Tolkien war ebenfalls gekommen, um einige Worte zu sprechen, obwohl niemand von uns mit ihrem Erscheinen gerechnet hatte. Es hat mich sehr gefreut, sie einmal persönlich zu sehen – sei es auch aus einiger Entfernung – und nicht wenige Zuschauer waren sehr gerührt, als sie über ihren Vater und ihre Freude daran, wie sein Andenken und seine Literatur in Ehren gehalten werden, sprach. Was das Vortragsprogramm der nächsten Tage angeht, so kann ich unmöglich über all die Vorträge, die wir gehört haben, berichten, aber es war immer wieder überraschend, wie viel Arbeit offensichtlich hinter der ganzen Veranstaltung steckte, sowohl von Organisation und Programmplanung als auch von der Kompetenz und Vorbereitung der Vortragenden her. Die meisten Vorträge, die ich besucht habe, waren sehr interessant, und es war spannend, die vielen verschiedenen Ansätze zu hören. Das einzige Problem war, dass es galt, mit dem Überangebot an Veranstaltungen fertig zu werden. Schade war manchmal auch, dass wegen des knappen Zeitplans oft wenig Gelegenheit zum Austausch mit den anderen Teilnehmern blieb; manchmal ergaben sich aber dennoch nette und interessante Gespräche. Da der Namen wahrscheinlich vielen ein Begriff ist, möchte ich als eines Highlights den Vortrag von Tom Shippey erwähnen. Er war gleich für den ersten Vormittag mit dem Thema Wisdom and Wise Sayings in The Lord of the Rings angekündigt, und der Saal war bis zum Bersten gefüllt. Es hat sich aber sehr gelohnt, sich hineinzuzwängen, den Shippey machte seinem Ruf als bekannter Tolkien-Forscher alle Ehre: Sein Vortrag eröffnete ganz neue Perspektiven auf einige scheinbar bekannte Stellen aus dem HdR, und vor allem war er so erfrischend vorgetragen, dass ich gleich alle Studenten beneidete, die Shippey regelmäßig hören dürfen.
Aber auch der Auftritt der ÖTG zwischen all den Experten darf nicht unerwähnt bleiben: Am Sonntag hatten Fimbrethil, Thorondor und ich den ganzen Nachmittag Zeit, um über Tolkien und die Verbindungen zur Fantasy-Literatur zu sprechen. Zumindest ich war schon den ganzen Vormittag gehörig nervös, aber dann verlief alles gut: Wir hatten zwar kein sehr großes, dafür aber ausdauerndes Publikum, von denen viele bis zum Ende (immerhin vier Stunden) blieben und sich auch äußerst rege an den Diskussion zwischen den einzelnen Vorträgen beteiligten. Einige Male wurde die Debatte regelrecht hitzig, besonders wenn es um die Beurteilung bestimmter Fantasy-Autoren ging; jeder verteidigt eben seine Vorlieben. Obwohl die vier Tage angefüllt und manchmal auch etwas anstrengend waren, fand ich es dann sehr schade, als der Montagnachmittag herangekommen war und wir Abschied nehmen mussten. Denn der Kongress war im Ganzen so interessant und hat mir so viele Inputs gegeben, und ich denke, dass meine Erwartungen für die künftigen Veranstaltungen dieser Art nach diesen Tagen sehr hoch gelegt sind.

Miriam “Nessa” Glasser

Birmingham´s People Magazine

Wir Tolkien-Freunde werden aufgrund des Beigeschmacks, der mit dem Fantastischen und der Fantasyszene verbunden ist, ja oft als “Freaks” bezeichnet. Was erwartet man also von einer viertägigen Konferenz, auf der NUR eben diese anzutreffen sind? Ich jedenfalls war sehr gespannt auf das Publikum aus aller Welt. Natürlich war mir klar und es freute mich, dass die Perspektive der Tagung vor allem wissenschaftlich sein würde, aber man kann sich die Frage stellen, was denn schräger ist: sich Hobbitfüße anzuziehen oder sich z. B. linguistisch mit Sprachen auseinander zu setzen, die es ja eigentlich gar nicht gibt.

Am ersten Tag stand der so genannte Telerin Evening auf dem Programm. Wir versprachen uns davon den angekündigten Eisbrecher zum Kennenlernen einiger anderer Teilnehmer, doch dann fanden wir uns wieder vor Menschen, die mit feuchten Augen selbst geschriebene (mehr oder weniger gute) Gedichte vortrugen, vor Sängern, Komikern und anderen Selbstdarstellern. Der Knüller war ein langmähniger, parkatragender Amerikaner, der irgendwie stark an Johnny Depp in Pirates of the Caribbean erinnerte. Sein Panel zu “Harry Potter = böse”, “LoTR = gut” war (leider) nicht mehr aufgenommen worden, also erzählte er halt so ein bisschen über sein Buch, sich selbst und Gründe warum Joanne K. Rowling furchtbar ist. Die hab ich inzwischen übrigens wieder vergessen, und so lange sind wir dann auch nicht mehr geblieben.
Da war es im Campus-Pub doch viel lustiger! Dort saßen wir acht nun und nach ein bis mehreren Cidern/ Guinness ging die Konversation auf Englisch auch schon viel leichter und so lernten wir gleich Zach, Riley und Tristan aus den USA kennen. Die wurden wir auch für die restlichen Tage nicht mehr los (was nicht negativ gemeint ist), und Zach begleitete uns sogar nach der Konferenz noch nach Sarehole und Oxford.

Am Freitag enttarnten Wolfgang und ich dann endlich die anderen beiden Österreicher, die außer unserem Grüppchen am Tolkien-2005 teilnahmen: Peter und sein Bruder hatten sich ja bis dahin bedeckt gehalten, konnten aber aufgrund ihrer Namenskärtchen identifiziert werden. Natürlich trafen wir auch bald auf Christian und die anderen Mitglieder der DTG, die in ebenfalls in größerer Abordnung angereist waren. Des Nachmittags lief Miriam dann noch David aus Belgien über den Weg (am Rande: Die Tolkiengesellschaft, der David vorsteht, zählt ca. 800 Mitglieder; nur der flämische Teil, wohlgemerkt). Wolfgang und sie hatten am Thing der DTG mit ihm Freundschaft geschlossen – was mich gar nicht wunderte, denn er ist ein witziger, charismatischer Kerl. Jedenfalls wurden wir von ihm gleich für Samstag zu einer stilechten Roomparty in unseren Turm des Studentenheimes eingeladen, wo wir natürlich prompt hingingen. Die Party war wegen des großen Andrangs ins Erdgeschoss/den Empfangsbereich des Stafford Towers verlegt worden und es gab dort nette Menschen und Met und Bier und ein geniales belgisches Getränk namens Genever – kurzum: alles was eine gute Party ausmacht. Viele Einladungen wurden ausgesprochen, ob zum Lustrum der niederländischen TG (Ronald, wir kommen), nach Belgien oder zu einem unserer Feste. Wir feierten dementsprechend lange, doch am Samstag saßen wir, verkatert oder nicht, alle um 9.30 wieder in einem der Vorträge. Denn die waren durchwegs, wie Miriam schon geschrieben hat, klasse und sehr anregend. Inzwischen sah man beim Gang übers Gelände oder auf der Suche nach den Vortragssälen schon alle drei Meter ein bekanntes Gesicht und kam aus dem Grüßen und Plaudern nicht mehr heraus. Erstaunlich, wie schnell man in so einem schönen Ausnahmezustand zusammenwächst und Freundschaften schließt.

Ob den Harry-Potter-Vogel, die zwei amerikanischen Hobbitdamen, stolz im bayrischen Dirndl, den Baby- Balrog der Kostümshow, das Theaterstück Farmer Giles of Ham, die Gemeinschaft mit Miriam, Wolfgang, Doro, Martin, Henriette, Aldi und Gertrud, die neuen Bekanntschaften, ich möchte nichts davon missen. Auch wenn das alles jetzt furchtbar kitschig klingt, aber im Grunde ist es so einfach: Was zahlt sich mehr aus, als zehn Tage durch England zu fahren, vier Tage davon auf einer Tolkien-Konferenz zu verbringen und sich gscheid zu amüsieren? Nicht viel? Stimmt. Toll war´s.

Julia “Lothíriel” Reichl

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