Eine Grammatik der Ethik

Eine Grammatik der Ethik

Thomas Honegger, Andrew James Johnston, Friedhelm Schneidewind, Frank Weinreich: Eine Grammatik der Ethik. Edition Stein und Baum, Verlag der Villa Fledermaus, Saarbrücken 2005.

Das 2005 erschienene Buch Eine Grammatik der Ethik ist ein Gemeinschaftswerk von vier Autoren: Thomas Honegger, Andrew James Johnston, Friedhelm Schneidewind (der manchen als Verfasser eines Tolkien-Lexikons bekannt sein wird) und Frank Weinreich. Hinter dem sehr theoretisch klingenden Titel verbirgt sich eine Auseinandersetzung mit einem durchaus schon bekannten Phänomen; der Frage nach der moralischen Dimension bei Tolkien, ihrer Aktualität und den Darstellungen von Gut und Böse.

Das erste Kapitel bildet ein Überblick über bisherige Bearbeitungen dieser Thematik, im zweiten setzen sich Schneidewind und Weinreich mit dem – leider immer noch – aktuellen Thema der Instrumentalisierung von Mittelerde auseinander. Es gibt zunächst eine Einführung, in der die Intentionen Tolkiens und seine Abneigung gegen die Allegorie diskutiert werden, auch das Recht zur Interpretation wird nicht vergessen.

Danach folgt eine Reihe von neueren Publikationen, in denen Tolkien (meist der HdR) als Vertreter für eine bestimmte Religion, These oder Weltsicht herangezogen wird. Die Zitate aus ebendiesen sind recht amüsant zu lesen, allerdings bieten sie ein etwas einseitiges Bild, da sie erstens alle aus der (pseudo-)christlichen oder esoterischen Richtung stammen und zweitens nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch völlig inakzeptabel scheinen. Ich würde es interessant finden, etwas über politische und ökologische Instrumentalisierung Tolkiens zu erfahren; zudem gibt es möglicherweise auch Interpretationen, die Tolkien zwar auf ungehörige Weise instrumentalisieren, aber dennoch methodisch und sprachlich anspruchsvoller sind und daher mehr für eine kritische Analyse bieten.

Das Kapitel Biologie und Moral befasst sich ebenfalls mit Vorurteilen gegen Tolkien, nämlich mit dem oft geäußerten Vorwurf des Rassismus gegen sein Werk. Schneidewind unterscheidet dabei, was für die Auseinandersetzung sehr wichtig ist, das Denken in Rassenkategorien vom “echten” Rassismus, was in Alltagsdenken und -sprache oft nicht klar voneinander getrennt ist. Weiters versucht er, sich der Frage nach Tolkiens Rassenbeschreibungen aus biologischem Blickwinkel zu nähern, indem er die biologischen Begriffe “Rasse” und “Art” gegeneinander abgrenzt und auf die Völker und Verwandtschaftsverhältnisse in Mittelerde bezieht. Wie weit dies zielführend ist, weiß ich nicht, da Mittelerde (wie es auch in diesem Buch an anderer Stelle betont wird) eine Zweitschöpfung ist, die man nicht unbedingt mit den naturwissenschaftlichen Kategorien unserer Welt beurteilen kann. Sehr wichtig für das Verständnis des Rassendenkens in Mittelerde sind dafür m. E. die mittelalterlichen Vorstellungen zu diesem Thema, die offensichtlich in Tolkiens Werk eingeflossen sind und auf die der Autor auch eingeht.

Ein meiner Meinung nach sehr wesentlicher Punkt zu Tolkiens Ethik wird in Thomas Honeggers Kapitel behandelt, nämlich das scheinbare Einhergehen von Schönheit und Gutheit bzw. Bosheit und Hässlichkeit. Im theoretisch-einführenden Teil wird dazu die Meinung von mehreren geistlichen Autoren des Mittelalters dargelegt und auf die musikalische Harmonie Erus hin weitergeführt, wobei ich es schade finde, dass dieser Teil etwas eingegrenzt wirkt; diese Thesen könnten meiner Meinung nach ruhig noch genauer ausgeführt werden.
Johnston analysiert schließlich in seinem Kapitel Ästhetische Strategien Tolkiens Darstellungen von Gut und Böse aus literaturwissenschaftlicher Perspektive, was m. E. auch von besonderer Wichtigkeit ist, da Tolkiens Werk und Fantasy viel zu oft nicht mit denselben Maßstäben wie andere literarische Texte gemessen werden. Die Thesen des Autors werden anhand zweier Textbeispiele sehr genau und nachvollziehbar dargelegt.
Der letzte Teil von Frank Weinreich beschäftigt sich schließlich mit Ethik in Mittelerde, wobei nachgewiesen werden soll, dass im HdR keine streng-christliche Moral, sondern vielmehr eine modern anmutende, neutrale Ethik vorherrscht.

Gerade als Einführung ist Eine Grammatik der Ethik sicher gut geeignet, da es einige Aspekte dieses im Zusammenhang mit Tolkien vieldiskutierten Themas auf überschaubare Weise darstellt. Positiv finde ich außerdem, dass nicht nur HdR als Primärliteratur herangezogen wurde, wie es sonst noch häufig der Fall ist. Allerdings hätte ich es interessant gefunden, in der Einleitung nicht nur eine Begründung zur Literatur-, sondern auch zur Themen- und Methodenauswahl zu finden. Zu diesem Gedanken hat mich der Buchtitel geführt, der für mich in dieser Hinsicht nicht ganz durchschaubar wirkt; legt doch die Wortwahl Grammatik nahe, dass es sich um ein System von festgelegten Strukturen und Regeln handelt. Hilfreich für den ersten Eindruck des Betrachters wäre zudem, den Namen “Tolkien” auch aufs Cover zu setzen, etwa in einem Untertitel, um die Einordnung des Gebietes zu erleichtern.

Miriam “Nessa” Mairgünther

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