Tolkien and the Great War. The Threshold of Middle-earth.

John Garth: Tolkien and the Great War. The Threshold of Middle-earth.

London: HarperCollins 2003.

Über John Garths “Tolkien and the Great War” ist schon viel geschrieben worden; und fast nur Gutes. Nicht ganz eine Biografie, einer solchen aber noch am nächsten, zeichnet Garth zunächst Tolkiens Bildungsgeschichte und Freundschaften nach: vom Vorschulunterricht bei seiner Mutter über seine Diskussionbeiträge an der King Edward´s School in Birmingham bis zu den ersten Gedichten. Wir erfahren, wer zum weiteren Kreis des TCBS gehörte und bekommen ein genaueres Bild davon, wie bedeutend dieser Freundeskreis für die Beteiligten war. Aus Tolkiens frühen Gedichten holt Garth die inhaltlichen Anklänge an spätere Werke heraus und versucht auch eine literaturkritische Bewertung.

Nach einem Abriss zum Stand der Mythologie vor dem Krieg folgt eine minutiöse Beschreibung von Tolkiens Kriegseinsatz in Frankreich (an der Somme) ab Juni 1916 – wobei man einen Eindruck vom England der Kriegsjahre ebenso bekommt wie vom Schrecken des Krieges selbst. Sehr deutlich wird, dass das Grauen und sein Anblick Tolkien zwar nicht erspart blieb, dass er auch selbst in Gefahr war, aber in seiner Position als Signal-Offizier doch eher im Hintergrund werkte und nicht unbedingt erstes Kanonenfutter war (anders als sein Freund Rob Gilson, der seine Männer aus dem Schützengraben zum Angriff zu führen hatte und dabei im Niemandsland fiel). Dazu kam eine Portion Glück – bei verheerenden Offensiven blieben er oder seine Einheit zum Teil in Reserve.

Mit Tolkiens Erkrankung, dem von Läusen übertragenen bakteriellen “Trench Fever”, wechselt die Szenerie im November 1916 zurück nach England und zur Literatur; das Ehe- und Familienleben streift Garth nur peripher. The Fall of Gondolin entsteht als unmittelbare Reaktion auf die Schlacht an der Somme, es folgen The Cottage of Lost Play, The Tale of Tinúviel und The Tale of Turambar, eine Wiederaufnahme seines Kullervo-Versuchs aus 1914.

Den erfahrenen Schreiber und Informationsvermittler (Garth arbeitet beim Evening Standard) erkennt man an der sehr lebendigen Schreibe. Speziell im Kriegskapitel lässt er den Leser die Zitatenquellen vergessen und einfach miterleben; wo ihm die Informationen zu oder von Tolkien persönlich fehlen, behilft er sich geschickt mit Beschreibungen von und über andere(n). Aber das ist auch eine Schwäche: Gegen Ende des Kapitels verwischt sich manchmal, ob Tolkien selbst dabei war, wenn von den Bewegungen seines Battaillons die Rede ist. – Vielleicht war sein Aufenthalt auch Garth nicht klar, aber dann hätte er das so sagen sollen.
Die gute Lesbarkeit (sogar ohne Fußnotenzeichen im Fließtext, sondern nach Seitenzahlen geordnet am Ende des Buchs) bewirkt leider auch, dass nicht jede Behauptung belegt wird: Wenn Garth z. B. erwähnt, dass Tolkien schon beim Erhalt des Befehls zum Einschiffen nach Frankreich der Meinung war, dass die kommenden Kriegserfahrungen seiner kreativen Vision nützen würden – dann kann man vermuten, dass dies seinem Tagebuch entnommen ist; in den Anmerkungen belegt sind jedoch nur wörtliche Zitate – zu diesem indirekten Zitat findet sich keine Quellenangabe.

Eine entscheidende Stärke des Buches: Auf der Suche nach Einflüssen von Tolkiens Kriegserlebnissen auf Tolkiens Werke ist Garth klug genug, sich billiger 1:1-Gleichsetzungen zu enthalten: Er zieht seine Parallelen so vorsichtig, dass man ihnen umso lieber folgt. Die abschließende Sammlung von Echos des Ersten Weltkriegs im Hobbit und im Herrn der Ringe ist eigentlich nur eine Aufzählung. Diese Kürze entspricht Garths Verständnis von seinem Projekt als Grundlage für literaturwissenschaftliche Thesen; den Anreiz dazu liefert er mit einem solchen Ende allemal. -Obwohl es sich durchaus lohnt, seinen Ansatz theoretisch zu hinterfragen (Ist es wirklich die biografische “Herkunft” von Textteilen, die uns ein literarisches Werk verstehen lässt?), so entspricht er doch weitest verbreiteter Praxis und viele Leser erleben ihn als erhellend. Daher empfehle ich Garth uneingeschränkt, als eindrückliche Ergänzung zu Carpenters Biografie mit Fokus auf die frühen Jahre 1914-18.

Chica * Michaela Zehetner

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